Ein auf und ab der Gefühle. Das etwas andere Seminar während unserer Ausbildung.
Ich war gespannt, neugierig und erstaunt, als ich den Seminarraum betrat. Jedoch auch irritiert. In der Mitte des Raumes stand ein Stuhlkreis einer etwas anderen Art. Wir nahmen alle Platz. Keiner sagte etwas. Die ersten Worte waren die Begrüßung unserer Ausbilderin Frau Berger. Es war komisch, meiner Ausbilderin nicht in die Augen zu schauen, während sie uns begrüßte. Meine Kollegen und ich lauschten den Begrüßungen, die darauf auch von den Polizisten Birgit Hammer, Karl-Heinz Joos und Michael Schönberg erfolgten. Die drei erlaubten uns nun unsere Stühle zu drehen, damit wir uns wieder in die Augen sehen konnten und nicht länger Türen oder Wände anstarren mussten. Zu der seltsamen Situation des Stuhlkreises am Anfang meinten Birgit, Micha und Karl-Heinz in etwas strengerem Ton: „Warum hat keiner von euch etwas gesagt? Oder hat euch die Situation gefallen?“ Wir alle waren uns einig: wir fühlten uns während der Begrüßungen ausgeliefert, da wir keinen Schimmer hatten was hinter unseren Rücken geschieht. Es hat uns definitiv nicht gefallen. Doch keiner hat etwas gesagt.
Danach sahen wir uns ein Video an. Junge Leute sagten: „Was ich dir noch sagen wollte“ – Bilder des Grauens folgten. Junge Menschen beim Feiern, ein Pärchen, Alkohol und ein Mann mit einem Auto, das er gerne sehr schnell fuhr. Bis zu dem Tag, an dem er zu schnell fuhr und schneller als sein Leben war. Der junge Mann (so jung wie vieler meiner Kollegen, mit denen ich in diesem Moment den Raum teilte, keiner über 25 Jahre alt) und sein Auto, nichts mehr als einen Haufen Asche. Ich glaube, es gab bei aller Konzentration, noch nie eine solche Stille während eines Seminars in unserem Haus.
Auf die Stille folgte Schweigen, Tränen und eine Runde in der jeder erklärte, warum er das Seminar besuche. Das Traurige: Worte meiner Kollegen. “ Ich habe erst vorgestern durch solch einen Unfall einen guten Freund verloren“, „ Ein Fußballfreund von mir hatte vor ein paar Tagen einen sehr schlimmen Unfall“ aber auch Worte, die hoffen lassen: „ Ich möchte solche Situationen zu verhindern wissen!“. Wir alle wollten das – wir alle wollten Schutzengel werden!
Doch dafür muss man arbeiten. Wir sprachen die drei verschiedenen Perspektiven durch: Die Eltern-, die Erwachsenen- und die Kinderperspektive und sollten diese in verschiedenen Situationen anwenden. Wir machten Rollenspiele zusammen mit den Polizisten und untereinander, in denen wir u.a. übten, einen Betrunken vor dem Autofahren abzuhalten. Die Polizei gab uns Tipps, mit welcher Haltung wir in der Stadt mehr Respekt einhalten können und wir übten, übten, übten. Darauf folgte der Selbstversuch mit einer Brille, bei der man nicht mehr gerade laufen konnte und meinte, man stände unter Alkoholeinfluss.
Danach folgten zwei weitere Videos. Eines davon möchte ich euch noch genauer beschreiben: Ein Mann auf dem Fußballplatz mit seinen Freunden, ein kleiner Junge zu Hause im Garten seiner Eltern mit dem Traum später einmal Fußballstar zu werden. Beide spielen Fußball. Der Mann fährt nach dem Training sehr schnell mit seinem Auto nach Hause. Auf dem Weg verliert er die Kontrolle über den Wagen und landet im Garten des Jungen. Der Junge? Tot! Der Mann fuhr nicht sich in den Tod, aber den kleinen Jungen. Ich weiß nicht ob ich das Video am Anfang oder dieses Video am Schluss schlimmer fand. Ich meine, was kann der Junge dafür?
Wir sollten nicht nur lernen auf uns selbst zu achten, sondern auch auf unsere Mitmenschen. Denn wir haben Verantwortung! Lauft nicht blind durch das Leben oder schließt die Hände vor euren Augen. Das Seminar hat großen Spaß gemacht. Wir konnten viel lachen uns war aber auch öfters zum Weinen. Ich kann jedem nur empfehlen mitzumachen. Es lohnt sich! Und was den Stuhlkreis
am Anfang betrifft? Ich denke, mindestens die Hälfte würde jetzt aufstehen und sagen: „ Ich fühle mich so nicht wohl, können wir bitte sitzen wie es sich gehört!“
PS. Gestern ist mein Ausweis gekommen, auf dem steht, dass ich jetzt offiziell Schutzengel bin. Ich habe mich sehr gefreut. Denn: wofür sollte man mehr kämpfen, als für das Leben und das Leben unserer Mitmenschen?
Luisa Kochendörfer
17. Dezember 2010 — 18:03
Hallo Herr Hoffmann,
ich möchte mich recht herzlich bedanken.
Habe mich sehr über ihr positives Feedback gefreut.
Ich denke, dass auf alle Fälle bei den Teilnehmern des von mir beschriebenen Seminars,
die Bedeutsamkeit in solchen Situationen einzugreifen und zu helfen, bewusst geworden ist.
Natürlich hoffe ich, mit diesem Artikel noch mehr auf die Probleme und die Notwendigkeit
von Schutzengeln aufmerksam machen zu können.
Und wenn sich dadurch nur ein paar Katastrophen vermeiden lassen, so sind es doch ein paar mehr, die zählen.
Freundliche Grüße
Luisa Kochendörfer
Thomas Hoffmann
17. November 2010 — 01:16
Hallo Luisa,
ich bin der Leiter des Schutzengelprojekts und zuständig für die Verkehrsprävention der Polizei in Pforzheim.
Ihr Bericht ist sehr gut gelungen (Respekt) und was kann es Überzeugenderes geben, als die eindrucksvoll wiedergegebenen Eindrücke eines Teilnehmers.
Leider passiert es immer wieder, dass sich Menschen heraus halten. Manchmal zum Leidwesen der Anderen, manchmal aber auch zum Eigenen. Schlimm, wenn man dafür mit der Gesundheit oder gar mit dem Leben bezahlen muss.
Ich bin auch überzeugt, dass ausgebildete Schutzengel in einem solchen Stuhlkreis nicht einfach sitzen bleiben – und viele haben das auch schon in anderen Situationen bewiesen.
Ich hoffe, noch viele Beschäftigte der Sparkasse im Seminar begrüßen zu dürfen, damit noch mehr Schutzengel für eine gute Sache eintreten und zusammenhalten.
Liebe Grüße
Thomas Hoffmann