Lichtenfels, am nördlichen Zipfel von Bayern, mitten im Nirgendwo – die Sonne brennt an diesem späten Augustnachmittag. Maispflanzen bedecken die Felder soweit das Auge reicht. Im wogenden Grün leuchtet ein roter Punkt. Da ist er, der Wetterballon. 230 Kilometer hat er hinter sich. Von Bieselsberg bis Lichtenfels ist die mit Helium gefüllte Latexhülle geflogen. Einmal von West nach Ost durch den deutschen Süden. Aber nicht nur weit ist der Ballon, an dem ein weiß-roter Fallschirm und eine Warmhaltebox mit Kamera hängen, gekommen. In der Spitze rund 34 Kilometer hoch ist er während seiner fünfstündigen Flugzeit gestiegen. Das beweisen Videomaterial und massenhaft Bilder, die die Kameras auf dem Weg nach oben und dann aus der Stratosphäre geschossen haben: Atemberaubende Blicke aus dem All auf die Erde.
Und dabei hatte das Experiment mit einem Fehlstart begonnen. Am selben Tag morgens um acht Uhr in Bieselsberg. Zwölf Mitarbeiter der IT-Organisation treffen sich zum Abteilungsausflug der besonderen Art. Monate akribischer Vorarbeit liegen hinter den IT-Experten. Technisches Interesse und den Spaß an einer ungewöhnlichen Aktion haben sie verbunden zum Wetterballon-Experiment. Normalerweise schickt zum Beispiel der Wetterdienst solche Ballons auf der Jagd nach Daten in die Höhe, mittlerweile versuchen sich aber auch immer mehr Privatleute daran.
Übers Internet kann man sich einen Latexballon bestellen, Helium braucht es und eine Erlaubnis der Flugwacht zum Start. Nicht nur die Recherche ist aber wichtig, auch Handarbeit ist gefragt. Manfred Kraft kann nicht nur wie ein Weltmeister Spätzle schaben, sondern auch nähen. Extrem wichtig, denn der Ballon ist das eine, die Kiste mit dem Equipment muss aber auch sicher wieder runter. Also nähte Kraft einen Fallschirm in knalligem weiß-rot. Kameras werden mit Hochleistungs-Karten bestückt und in einer Warmhaltebox mit Guckloch nach außen befestigt. In den Behälter kommt auch ein GPS-Empfänger, um den Weg des Ballons verfolgen zu können. Silica-Gel, um die Kondensation in großer Höhe zu hemmen, außerdem Wärmekissen. Zum Schluss als Talisman eine Plastik-Spielfigur – dem Playmobil-Taucher will Christian Glos auf diesem Weg einen Ausflug ins All ermöglichen.
Nachdem die Wettervorhersage eine ruhige Lage mit wenig Wind prophezeit, ist der Tag des Abflugs definiert. Möglichst hoch hinaus soll es zum Start gehen. Stefan Dürr weiß in seinem Heimatort das passende Gelände an der Bieselsberger Sternwarte. Nach einigem Hin und Herr beginnt die Fahrt. Über eine halbe Stunde lang ist er mit bloßem Auge zu erkennen. Zuerst geht es in Richtung Westen dann zügig gen Osten. Wie erwartet, denn die Windrichtung in den höheren Luftschichten ist in der Regel vorhersagbar und konstant.
Alle paar Minuten gibt es per SMS eine Meldung der Koordinaten. Dann bleibt alles ruhig. Nach langer Zeit bimmelt ein Handy. Der Ballon, den so mancher schon verloren geglaubt hat, sendet Signale. Irgendwo in Richtung Coburg ist er unterwegs. Coburg? Nord-Bayern! Franken würden die Traditionalisten betonen. Dreieinhalb Stunden sagt das Navi und los geht die Fahrt. Noch ist nicht klar, ob der Ballon gelandet ist. Aber dann häufen sich die SMS-Daten mit exakten GPS-Positionen – er ist unten. Aber wo? In einem Baumwipfel, auf einem Bahngleis, in einer Regentonne? Google Maps zeigt für die Koordinaten eine grüne Fläche außerhalb des Lichtenfelser Teilorts Schney an.
Alle 15 Minuten meldet sich der Sender wieder – das Paket bewegt sich nicht. Würde es jemand wegtragen, käme ein Alarm übers Handy. Die Fahrt zieht sich. Draußen fliegt Baden-Württemberg vorbei, es wird später Nachmittag. In Schney angekommen lotst das Handy in einen Feldweg, rundum Weizen, dann beherrscht Mais das Blickfeld. „Hier muss er sein“, Geocacher Pfrommer ist sich sicher. Aber wo? Die Maispflanzen überragen selbst den größten Sparkässler. Flugs schwingt sich Glos auf Pfrommers Schultern und – „da ist was Rotes, das ist er.“ Die Bergung ist ein Klacks. Zwar ist die Orientierung im dichtbestandenen Maisfeld schwierig, aber das Adrenalin lockt selbst die Heuschnupfen-Geplagten ohne Zögern in den Pflanzendschungel. Schon liegen Box, intakter Fallschirm und völlig zerfetzte Ballonhülle vor den Männern. Foto-Experte Andreas Schott öffnet den Kasten. Alle Kameras sind ganz und obwohl die Akkus schwach sind, erscheinen nach einem Klick die ersten Bilder auf dem Display – die Erde von oben, die Krümmung gut sichtbar, aus der Stratosphäre sicher gelandet auf einem Maisfeld nahe der tschechischen Grenze. Wahnsinn.
Und sogar der Playmobil-Taucher hat den Flug ins All überstanden.
Bildergalerie und Impressionen aus dem Weltall: Klick
Brigitte Widmaier
27. Januar 2013 — 13:29
Super-Idee und Super-Aktion, Gratulation – aber darauf können ja nur IT-ler kommen.