Wer gerade volljährig ist, für den sind Zinsen aufs Ersparte so schwer vorstellbar wie eine Welt ohne Internet. Doch das war früher ganz anders. 50 Jahrhunderte Zinsen – ein Nachruf in 12 Kapiteln.
1. Kapitel: Am Anfang war der Zins
Ich leihe Dir was – und wenn ich es nach einiger Zeit zurückbekomme, legst Du noch was drauf. Das ist ein Prinzip, das schon Kleinkinder im Sandkasten anwenden; selbst, wenn sie noch nie eigenes Geld in der Hand hatten. Damit erinnern sie uns an den Anbeginn des Zinszeitalters; und das ist vielleicht sogar der Anbeginn aller Zeit unter uns Menschen. Denn Zinsen hat es schon gegeben, lange bevor Banken, Münzen und überhaupt die Funktion des Geldes bekannt war.
Den genauen Zeitpunkt der ersten Zinserhebung kennt niemand. Er liegt sozusagen im menschlichen Sandkastenalter. Aber bereits rund 3000 Jahre vor Christus finden sich schriftliche Belege für Zinsen. Im Zweistromland auf dem Gebiet des heutigen Irak war etwa festgelegt, wieviel Gerstenkörner mehr zurückgegeben werden mussten, wenn der Bauer sich zur Saat solche geliehen hatte: 33,3 Prozent hatte er draufzulegen bei der fälligen Rückzahlung. Ein happiger Jahreszins.
2. Kapitel: Geschätzt und vereinbart
Der Zins fürs Ersparte ist heute für jüngere Menschen schon ein großer Unbekannter. Aber was heißt eigentlich Zins? Der Begriff kommt aus dem Lateinischen. Census bedeutet soviel wie „Abschätzung”, „Abgabe” oder auch „Vermögen”. Daraus wurde ziemlich schnell der Zins – und um den wurde von Alters her gerungen. Bei den alten Römern ging es dabei schon in aller Regel um Geld, obwohl auch noch Zinsen in Naturalien üblich waren. Und auch damals war es in der Regel teuer, sich Geld zu leihen.
3. Kapitel: In der Zins-Hölle
Geld verleihen – das war bis weit in die Neuzeit von gegenseitigem Misstrauen geprägt. Wer Kredite gegen Zins erteilte, hatte eher ein niedriges Ansehen. Aber er hatte auch mit erheblichen Risiken zu rechnen, ob er sein Geld je wiedersehen würde. Kriege, Seuchen, Pogrome, geringe Lebenserwartung, Naturkatastrophen: Mögliche Totalverluste zumindest bei einigen Kunden musste ein Geldverleiher in den Zins einrechnen, den er durchschnittlich verlangte. Im Hochmittelalter musste daher selbst ein Kunde mit hoher Kreditwürdigkeit rund 40 Prozent Jahreszins berappen, bei schlechter Kreditwürdigkeit waren es zuweilen auch mehr als das Doppelte der ursprünglichen Summe. Übrigens: Auch im vorigen Jahrhundert gab es etwa in den USA der Achtziger Jahre noch Phasen, in denen der Leitzins an der 20-Prozent-Grenze schrammte. Die Inflation allerdings auch – aber dazu gleich noch mehr.
4. Kapitel: Historisch niedrig
Seit 20 Jahren schon leben die Japaner auf Zins-Nulldiät, die Europäer auch schon annähernd ein Jahrzehnt. Und die Zeichen stehen noch auf lange, lange Sicht in Richtung Nulllinie. So etwas hat es noch nie gegeben, ist die landläufige Meinung. Andrew Haldane, Chefökonom der Bank von England, wollte es aber mal genau wissen: Sind die Niedrigzinsen wirklich so historisch einmalig, wie alle sagen? Der Währungsanalytiker hat sein Team die gesamte Geschichte der Zinsen durchstöbern lassen – von griechischen Geschichtsschreibern über babylonische Staats-Buchhalter bis zu US-Notenbankern. Herausgekommen ist ein Diagramm der Entwicklung des Zinses seit 3000 vor Christus. Eine Erkenntnis darf darum jetzt bei globaler Betrachtung als gesichert gelten: Mehr als ein Jahrzehnt ohne Spar-Zins, das ist wirklich ein einmaliges Zinsgeschehen.
5. Kapitel: Zinsen verboten
Mit Zinsen ein Vermögen verdienen? Das ist seit Jahren in Deutschland für Privatanleger bei sicheren festverzinslichen Wertpapieren kaum möglich. Jahrhundertelang hätten dies aber auch viele Menschen gar nicht gewollt. Denn Zinsen waren lange verpönt. Im alten Griechenland forderte der Philosoph Aristoteles gar ein Zinsverbot. Denn Geld sei ein reines Tauschmittel. Es durch Zinsen zu vermehren, „diese Art des Gelderwerbs ist also am meisten gegen die Natur“. Gläubigen Juden und Christen war es jahrhundertelang verboten, Zinsen zu nehmen. Und bei strenggläubigen Moslems ist es seit 1440 Jahren bis zum heutigen Tag tabu, in Berührung mit Zinsen zu kommen. Allerdings verstoßen nur Zinsen gegen die Scharia, nicht aber Anleihen, die einen Gewinnanteil ausbezahlen. Der kann bei solchen Halal-Finanzprodukten auch schon vorher festgelegt sein – und könnte so hoch wie ein entsprechender Zins sein. Die genauen Regeln setzt ein autorisierter Glaubensvertreter fest.
6. Kapitel: Ein Zins, mehrere Zutaten
Der Zins ist bei erster Betrachtung eine Prozentzahl – aber dahinter steckt mehr. In der Regel setzt sich dieser Satz nämlich aus mehreren ganz unterschiedlichen Komponenten zusammen: Wer mit dem Geld umgeht, dem entstehen dadurch Kosten – etwa durch die Datenverarbeitung, Beratung, das Auflegen eines verzinsten Produktes oder ähnliches. Dafür werden Bearbeitungsgebühren in den Zinssatz einkalkuliert.
Wer Kredite vergibt, der muss das ausgegebene Geld wiederum zu einem bestimmten Prozentsatz der Kreditsumme bei der Zentralbank absichern. Das Geld leihen die Banken sich selbst bei der Zentralbank, die dafür eigene Zinsen verlangt. Diese sogenannte Liquiditätsprämie ist bei den Zinssätzen an Dritte einzurechnen. Auch darum etwa sind die Zinsen für Kredite im Schnitt höher als für Geldanlagen. Ein weiterer Punkt, der Kredite teurer macht: Manche von ihnen fallen aus, weil der Schuldner nicht zahlen kann. Auch eine Risikoprämie muss also in den Zinssatz gegenüber allen Kunden einkalkuliert werden. Zuletzt kommt die Inflationsprämie dazu. Die jährlich zu erwartende Teuerungsrate muss mitberechnet werden. Alles zusammen ergibt dann den Nominalzins.
7. Kapitel: Der Erzfeind aller Zinsgewinne
Wer hat den Satz noch nicht gehört? „Ja, 2008, da habe ich noch zwei Prozent Zinsen bekommen auf mein Sparbuch – und zu D-Mark-Zeiten, da waren es sogar 3 Prozent.” Schön war die Zeit … vor allem, wenn man nicht mehr an die Teuerungsrate denkt. Die lag etwa Anfang der Neunziger Jahre schon mal bei rund 5 Prozent. Das Sparbuch war auch damals ähnlich wie Tagesgeld-Anlagen ein reales Minusgeschäft.
Die Inflation ist der Erzfeind jedes Zinsgewinnes. Denn wenn die Kaufkraft eines Euro (und übrigens früher auch der D-Mark) innerhalb eines Jahres stärker sinkt als der erzielte Zinsgewinn, dann ist der Anleger real ärmer geworden; er kann sich also weniger für das nominal vermehrte Vermögen leisten als vorher für die niedrigere Summe.
Notenbanken wie die Deutsche Bundesbank haben darum ganz stark die Geldwertstabilität im Blick – ohne sie ist auch ein guter Zins nämlich nicht viel wert. Und der ganz normale Anleger? Er sollte immer auf eine Mischung verschiedener Anlagen setzen, die ihm ausreichend Sicherheit und eine reale Vermehrung des Vermögens bringt. Das lehrt der Rundgang durch die Zinsgeschichte.
8. Kapitel: Das unbegreifliche Phänomen des Zinseszins
Ich zahle es Dir zurück – mit Zins und Zinseszins. Den Spruch kennt jeder. Aber er beschreibt ein Phänomen, das viele Geldanleger nur schwer nachvollziehen können. Zinsen helfen, ein Vermögen exponentiell zu vermehren. Was bedeutet das? Wer jedes Jahr einen gleichbleibenden Zinsertrag (oder eine theoretisch gleichbleibende Rendite) wieder anlegt, der beschleunigt die Vermögensentwicklung nach der Exponentialfunktion.
Wird also ein Geldvermögen mit 7 Prozent verzinst (oder es erwirtschaftet im Schnitt 7 Prozent Rendite), dann hat es sich dank der Exponentialfunktion bereits nach 10 Jahren verdoppelt. Zweiter Effekt: Viel bringt viel. Denn verdoppelt heißt: Aus 7.500 Euro werden so nach einem Jahrzehnt 15.000 Euro; aber aus 200.000 werden gleich 400.000 Euro. Also 200.000 Euro Gewinn!
9. Kapitel: Die Leitzins-Erfinder
Der Leitzins – das ist für extrem sicherheitsbewusste Anleger ein echter Leid-Zins. Und verantwortlich dafür sind die mächtigen Notenbanken wie Fed oder EZB. Ihre Niedrigzinspolitik hat die vergangenen zehn Jahre für Geldanleger und Kreditnehmer geprägt – und damit auch ganz wesentlich das Anlageverhalten verändert. „Das niedrige nominale und reale Zinsniveau ist historisch einzigartig”, beschreibt der frühere VWL-Professor Peter Kugler nüchtern eine Entwicklung, die noch unabsehbar lange andauern wird; für die Generation Sparbuch ein Würgegriff der Leitzins-Macher. Der Basler Zinsexperte beschäftigt sich schon lange mit der Geschichte der Zinsen.
„Das niedrige nominale und reale Zinsniveau ist historisch einzigartig.“
Professor Peter Kugler, Zinsexperte
Kugler kennt darum auch die Mutter aller Zentralbanken, entstanden nach einer großen Finanzkrise 1609: Wegen vieler Bankzusammenbrüche in der Vergangenheit hat damals die Holländische Republik eine zentrale Wechselbank mit hundertprozentiger Deckung der Einlagen gegründet. Die Politiker der See-Weltmacht nutzten ihre Bank zudem, um die Staatsschulden voll handelbar zu machen. Im Effekt fiel dadurch der Zinssatz auf damals historisch niedrige 3 Prozent.
10. Kapitel: Viel Erspartes, wenig Zinsen
Billiges Geld für die Wirtschaft – und wenig Zinsen für all jene, die ihr Geld in festverzinslichen Wertpapieren anlegen: Das ist ein Schlachtruf, mit dem die Zentralbanken an verschiedenen Enden der Welt die Konjunktur ankurbeln. Und ein Ende ist kaum abzusehen, so Professor Kugler. Der Forscher macht aber neben den Notenbankern auch grundsätzliche Entwicklungen für die sinkenden Zinsen verantwortlich. Kurz gesagt: Es gibt zu viele Sparer mit wenig Risikoneigung – und sie sind zu wohlhabend. Darum schlägt schlicht das Gesetz von Angebot und Nachfrage zu. Viel Angebot an Geld, wenig Zins: „In den letzten 20 Jahren ist der Anteil der Bevölkerung im sparintensiven Alter zwischen 40 und 60 Jahren hoch und die Investitionsneigung seit der jüngsten Finanzkrise reduziert”, so Kugler. Dieses Überangebot an Ersparnissen habe den Realzins stark gesenkt. Zudem sei jetzt auch China „mit besonders hohen Sparüberschüssen schrittweise in die Weltwirtschaft integriert”, sagt der Experte. Gut für die globale Wirtschaft, schlecht für die Zinssparer. An der Tendenz wird sich auch auf lange Sicht nichts ändern, ist sich der Experte sicher.
11. Kapitel: Wenn Verzicht bestraft wird
Zinsen sind eigentlich eine Belohnung dafür, dass Menschen ihre Käufe aufschieben. So hat es bereits im 19. Jahrhundert der österreichische Ökonom Eugen von Böhm-Bawerk erklärt. Der Zins ist demnach ein Preis für die Zeit, in der der Anleger auf seinen Konsum verzichtet. Auch der Volkswirt John Maynard Keynes hat das ein paar Jahrzehnte später so erklärt. Da kannten sie aber die Bundesanleihen noch nicht.
Denn wer sein Geld auf langlaufende Wertpapiere der Bundesrepublik Deutschland setzt, der wird in den letzten Jahren sogar dafür zuweilen bestraft statt belohnt. Denn die Rendite auf Bundesanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren hat 2019 mit zeitweilig mehr als minus 0,3 % einen Tiefstwert erreicht. Konsum aufschieben, das kostet also Geld. Der Privatanleger kann sich zumindest davor schützen, indem er solche Papiere nicht erwirbt. Hauptabnehmer der Bundesanleihen sind aber Versicherer und Pensionsfonds; die sind oft gesetzlich dazu verpflichtet, einen großen Teil ihrer Gelder in Staatsanleihen zu investieren. Wenn das aber ein Verlustgeschäft wird, schrumpfen auch die Überschussanteile für Millionen von Lebensversicherten. Das Verlustgeschäft betrifft also fast alle, die auf solche langfristigen Produkte setzen.
12. Kapitel: Die schöne Halbschwester des Zinses
Es ist auf lange Zeit eine Sackgasse, zur wundersamen Vermögensvermehrung auf feste Zinsen für solide Wertpapiere zu setzen. Auf diese Art wird der Anleger der Geldentwertung kaum ein Schnippchen schlagen können. Mehr aus seinem Vermögen machen – das geht dennoch nachweislich gut. Der Schlüssel dazu ist die schöne Halbschwester des Zinses: die Rendite. Wer gezielt seine Anlagen zum Beispiel auf Investitionen am Aktienmarkt streut, der kann auch bei angemessenem Risiko über einen längeren Zeitraum Gewinne erzielen, die mit Zinsen bei vergleichbar risikoarmen Papieren nicht zu realisieren sind. Allerdings unterliegen Aktien Kursschwankungen, so dass es auch zu Kursverlusten kommen kann.
Stand: 31.07.2019
TEXT: FondsMagazin
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